aus Zyklus "Niemandsland"

Über den Pinselrand


Und so öffnete ich diese winzige Schatulle,
in der ich ein wenig dieses andauernd haltbaren
Nichts vorfand.
Kostbar und fühlbar mit den Fingerspitzen
ertastend, denn so klang es, so wie eine
unvermischte Farbe, rein und weiß und wegen
des Marderhaarpinsels zerstäubt, zerklüftet.
Jeder Versuch einer Form unangebracht, nur
ein im Kreisen (des Pinsels, der Hand) entstandener
Raum; ein Gleichnis der Farbe in meiner Basis
mit dem außen wütenden Sturm.
Ohne die Jahre zu zählen, fallen die letzten (dunklen)
Tropfen vom Pinsel aufs Papier.
Die Schatulle schließt sich, Leere ergießt sich
bis über den Rand, doch die Hand vergisst nicht
schwingt weiter im erinnerten Klang.

 

 

aus Zyklus "Niemandsland"

Eines Menschen Spur


Frühlicht, wie eine leuchtende Spur
zieht sich bald hier bald dort
über die Dächer dazwischen
ein Spalt schon
blauen Himmels hindurch fliehend
die Korrektur einer Wolkenwand aus
gebündelten Rundungen zugegen
die Farbe „waches Grau“ zugespitzt
und beinahe blickdicht.


Unten wurzelt ein im Zusammenhang
mit dem Über-all stehender Mensch.
Beugt sich, streckt sich, lauscht. Vergisst
sich. Packt alle sonst verlorenen Dinge:
ein Ahornblatt, ein abgeschnittenes Wort,
verpatzte Pinselstriche und den Rest der
gefallenen Sätze – im Abwenden fällt
ihm ein tosender Zorn aus dem Kopf
bleibt zurück
und im Weitergehen reift das Licht in ihm
und über ihm bleibt der Himmel stehen.

 

 

aus Zyklus "Niemandsland"

Wessen Hand?

 

Etwaige Werkstätten ließen sich finden an
jenen langen ausgetretenen Straßen im Abstand
zur bloßen roten Erde, zu zerklüfteten Halden
fassen sich die Gebäude an den Händen, eine
knappe Verbeugung, scheint dir; Sie warten auf
ihre Konservierung, in ihrer Reinheit wirken sie
leer. Nur hinter manch blindem Fenster scheint
eine Hand mit einem Zündholz Feuer zu entfachen
(Wessen Wesens Hand?)


Und am letzten dieser Häuser ist eine Scheibe
zerbrochen, ist ein Zugang offen, hebt sich der
doppelte Boden, verlassen Gestalten wie Geister
den Ort, an dem sie Schritt für Schritt ihre Seele
verloren, ihre Freunde verrieten, dafür Ablass
kauften. Bald verwischen sich die Bilder, werden
Schemen, nur noch Umrisse einer Siedlung sind
zu sehen, umgeben von Brache mit randständigen
Zäunen am südlichsten Ende scheinen verdorrte
Wälder in die Zukunft zu sehen.

 

 

In meinem Kopf

 

Haut spannt sich
wie ein Zelt über das Rund
unter dem in einer Knochenschale
all das liegt was
fortwährend geschieht
nach vorn
ausgerichtet mein 7. Gesicht
in dem alles
Geschehende zu lesen ist

 

 

Sammle Seesterne


Ich sammle Steine und Mineralien
ich sammle Geld nur
die Münzen wie Muscheln im Sand
die Scheine die ich finde vermehre
ich und setze sie aus in der Welt


Kein einziger Bernstein zeigt sich
obwohl doch Sturm war in der
Nacht ein Wind ein Wolkenbruch
meine in Wasser gelösten Freunde
meine Stiefgeschwister liegen
knöchern am Grund


Ein Seestern fällt vom Himmel
die Luft vibriert für eine Sekunde
stockt die Zeit spiegelt sich auf der
Oberfläche einer anderen Welt

 

 

chaos


eine kluft zwischen hier
und dort
(und am ende nichts?)
für den anfang:
deine kreation, meine schöpfung
paradiesisch
die fluide, deine sind ein fest


sprich nicht vom durch-ein-ander
verrätselter zeiten
von asche und schaum
sieh dir die ausmaße an!
weitreichend hinlänglich
fruchtbar
(und am ende nichts?)


ein stoß ins abseits
bricht alle rippen
nur die Eine adams nicht

 

 

Eine Selbstauskunft


Mein Platz ist mir sicher
samstags im Wald und
an den anderen Tagen
Sabotagen
wohin ich auch gehe
ich bleibe nicht lang
zu kalt zu warm zu überspannt


An Regentagen abends
spielt das Orchester der
Tropfen mit meinen Fragen
früher und an anderen Tagen
stehen die Zeugen gelangweilt
da und blättern durch die Jahresseiten
suchen nach meinem Ereignisbericht:
„Was hast du die ganze Zeit gemacht?“


Ich habe Lotse gespielt an
Sommertagen mit Gewittern
am Ende in Erdmulden verharrt
in Wartehäuschen der Zukunft
mein Glück versucht

 

 

WAS ICH MITNEHME

 

Was ich mitnehme:
mein Steckenpferd
meine Badehaube
mein linksdrehendes Alphabet
die einsamen Küstenstreifen
die zerrissenen Seiten
das Modell vom Laufsteg


Wenn ich gehe
trage ich die Abschiedstasche
in der Brusttasche links
klopft das lebensspendende Organ
auf die Schnelle finde
ich die Ruhe nicht
mich umzudrehen zu sehen
was noch fehlt


Ob ich zurückkehre
weiß ich nicht
was dabei ist
(leere Seiten!)
wird die Antwort
wissen oder finden oder bleiben

 

 

Der seltsame Engel

                                                                                                 Hommage an Sylvia Plath                                                       

Ich bin der seltsame Engel
der niemals die Gründe zählt
der unabhängig vom angehaltenen Tag
die Bienenkörbe pflegt
der gegen morgen weiterreist dem
Rückwärtslicht am Himmel folgt
über Zäune und Mauern schwebt
& an nötigen Orten den Gashahn
abdreht


Ich bin der Engel der am längsten
an ausgehobenen Gräben steht
dessen Tränen statt unaufhörlich zu rinnen
zarte Keimlinge gießen
der längst zu den ausgestorbenen wesen
zählt


 

warten

 

unruheflimmern
bei weitem langem atem
reichweite erinnern &
die guten plätze sichern


herzhoflungern
ein schade & nein danke
für mich heute nicht ...
augenrollen


alle wollen alles auf ex
& im nachhinein fehlt
der akurate abstand
echtzeitrauschen


in vergessenheit geraten
desolates stimmenschwirren
enchanté, auf Sie! & alle
die noch kommen


eine ankündigung: ab-
& zugeordnete wählen
ihre vertreter auf papier
wird alles fest-gehalten


unbehagen: bei kurzsichtig-
keit weiterhin das vergrößerungs-
glas vors rechte Auge halten
teile abspalten die quersumme


addieren, mal-nehmen, die
Abzüge bleiben sichtbare teile
des ganzen, brandbriefe schreiben
& die welt beheimaten